Der Skandinavienkai in Lübeck-Travemünde ist eines der wichtigsten Drehkreuze an der deutschen Ostseeküste für Verbindungen nach Schweden, Finnland und ins Baltikum. Eingeweiht wurde der Fähranleger heute vor 60 Jahren.

Mit der „Nils Holgersson“ in den Norden Europas: Am 28. März 1962 bringt die Fähre erstmals Passagiere von Travemünde nach Trelleborg in Schweden. Damit ist der Grundstein für die TT-Linie (Travemünde-Trelleborg) gelegt, die der Nachfrage nach schnelleren Verbindungen zwischen Deutschland und Skandinavien nachkommt. Doch nicht nur das Schiff ist neu, auch der Fähranleger an der Untertrave: Feierlich eröffnet Lübecks Bürgermeister Max Wartemann an diesem Mittwoch den Skandinavienkai. Die Entscheidung für den 1,5 Millionen DM teuren Kai-Neubau war gefallen, weil der Travemünder Ostpreußenkai nicht mehr genügend Platz bot. Also wurde auf Betreiben von Wartemann auf dem Gelände einer ehemaligen Fischersiedlung und einer Pelztierfarm ein neuer Fähranleger mit Landanlagen errichtet.

Neue Dimensionen mit der „Nils Holgersson“

Das rund 100 Meter lange neue Schiff, gebaut vom Hamburger Schiffbauunternehmen Hanseatische Werft GmbH, kann bis zu 900 Personen und 120 Pkw befördern. Und mit ihm gibt es nun die erste regelmäßige und ganzjährige Fährverbindung von der Bundesrepublik Deutschland in Richtung Skandinavien. Die Linie ergänzt eine bereits bestehende Verbindung von Travemünde nach Trelleborg sowie die Fahrten verschiedener Fähren nach Helsingborg, Helsinki, Hanko und Ystad, die allerdings nur unregelmäßig und zum Teil nur im Sommer verkehren. Innerhalb von sechs bis acht Stunden gelangen Passagiere und Waren mit der TT-Linie täglich nach Schweden und zurück nach Travemünde.

„Tausende Trelleborger begrüßten (…) die neue Ostseefähre ‚Nils Holgersson‘, die nach gut sechs Stunden Fahrt von Travemünde aus in der südschwedischen Hafenstradt eintraf“, heißt es am 29. März 1962 im „Hamburger Abendblatt“.

Wirtschaftsaufschwung lässt auch Skandinavienkai wachsen

Die Ausweitung des Fähr- und Frachtverkehrs mit den Ostseeanrainern geht einher mit dem Wirtschaftsaufschwung der 60er-Jahre. Die Reedereien versprechen sich angesichts der verstärkten europäischen Zusammenarbeit etwa einen stärkeren Lkw-Transport. Mit dem zunehmenden Wohlstand in der Bundesrepublik wächst zudem die Reiselust der Deutschen. Bereits in ihrem ersten Jahr befördert die „Nils Holgersson“ 68.268 Fahrgäste und 541 Lkw.

Gleich im zweiten Jahre nach der Eröffnung des Skandinavienkais verdoppelten sich sowohl die Passagier- als auch die Pkw-Zahlen: Waren es 1962 noch 126.000 Fahrgäste und 21.800 Pkw, schiffen sich ein Jahr später bereits 251.000 Personen und 43.400 Autos ein. Die Zahl der beförderten Lkw wächst gar von 125 auf 1.269. Und das, obwohl ab 1963 die sogenannte Vogelfluglinie über die Fehmarnsundbrücke einen Teil des Waren- und Passagiertransports nach Dänemark und Schweden übernimmt.

Auf Trelleborg folgen Gedser und Helsinki

Rasch schreitet auch der Ausbau der Verbindungen am Skandinavienkai voran – Travemünde entwickelt sich in kurzer Zeit zur Fährmetropole der deutschen Ostseeküste. Der Verbindung nach Trelleborg folgt mit der ebenfalls von der Hanseatischen Werft gebauten „Hansa Express“ noch im Sommer 1962 ein neuer Fährdienst über das gotländische Visby nach Hanko in Finnland. Da der kleine Hafen in Hanko bald an die Grenzen seiner Kapazitäten stößt, verkehrt die Fähre ab 1963 über Kalmar nach Helsinki. 1963 wird die Verbindung ins dänische Gedser mit dem gleichnamigen Schiff in den Fahrplan aufgenommen. Für die dortigen Strandbesucher werden die regelmäßig dicht am Strand vorbeifahrenden Fähren bald zum vertrauten Anblick.

„Fährlinien gesammelt wie andere Leute Briefmarken“

1966 nahm auch die „Finnhansa“ auf der Travemünde-Helsinki-Route – der sogenannten Hansa-Route – ihren Dienst auf.

Sieben Fährlinien in Richtung Skandinavien legen im Sommer 1963 in Travemünde ab. Und so entstehen in den folgenden Jahren auch weitere Fähranleger für die Dienste weiterer Reedereien. Hatte der Skandinavienkai seinen Betrieb 1962 mit lediglich einem Fähranleger aufgenommen, sind es 1965 bereits vier. Vom ehemaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Björn Engholm (SPD) ist der Ausspruch über den damaligen Lübecker Bürgermeister überliefert: „Über Max Wartemann wurde einmal gesagt, er sammele Fährlinien, wie andere Leute Briefmarken.“

Schienen und Straßen: Anschluss ans Hinterland

1972 wird der Skandinavienkai an den Schienenverkehr angeschlossen. Stetig wächst die Anlage: durch neue oder erweiterte Anleger, vergrößerte Umschlagsflächen, Hafengebäude und Zuwege. In den Jahren 2006/2007 wird das Gelände in großem Umfang um Hafenflächen und Gewerbegebiete erweitert. Im Zuge der Maßnahmen muss die Bahnstrecke Lübeck-Travemünde auf einer Länge von 1,5 Kilometern um mehrere Hundert Meter westwärts verlegt werden. Über die vierspurige B75 ist der Hafen zudem direkt an die Autobahn A1 angeschlossen. 2017 investiert die Stadt Lübeck rund 40 Millionen Euro in den Bau zusätzlicher Flächen für den Roll-on-Roll-off-Umschlag und mehrere Multifunktionshallen.

Deutschlands größter Ostsee-Fährhafen wächst weiter

Heute ist der Skandinavienkai der größte deutsche Fährhafen an der Ostsee. Es bestehen Verbindungen nach Schweden, Finnland, Lettland, Litauen und Estland. Der Fährbetrieb von Travemünde ins russische St. Petersburg ist wegen des Krieges in der Ukraine auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Im Rahmen des Güterverkehrs ist der Skandinavienkai auf den Roll-on-Roll-off-Verkehr spezialisiert: Lkw und Container machen einen Großteil des Umschlags aus. Aber auch Ex- und Import-Pkw, Papier und Karton oder Schwergut wie Stahl gehören zu den gängigsten Gütern, die an dem 2.065 Meter langen Kai umgeschlagen werden. Zudem starten jedes Jahr rund 400.000 Passagiere von hier aus ihre Reise in den Ostseeraum – oder kommen in Travemünde an.

Und auch der Ausbau der Hafenanlage geht weiter. Nachdem in den vergangenen Jahren vor allem in die Anbindung ans Hinterland investiert wurde, ist nun die Kai-Anlage dran. Anfang 2022 hat das Land Schleswig-Holstein den Betreibern dafür 13,3 Millionen Euro übergeben – mehr als die Hälfte der Kosten für die Erweiterung des Anlegers 5, an dem zukünftig bis zu 250 Meter lange und 38 Meter breite Schiffe festmachen sollen.

 

Quelle: NDR/Janine Kühl


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