Finnland braucht leistungsstarke Schifffahrt
Die finnische Wirtschaft, aber auch die Politik in dem innovationsstarken skandinavischen EU- und Nato-Mitgliedsland verfolgen sehr genau, mit welchen Maßnahmen die Brüsseler EU-Kommission ihre Klimaschutzziele erreichen will.
Vor allem die politisch gewollte Verteuerung von fossilen Energieträgern, die weltweit als klimabelastend eingestuft werden, habe Folgen auch für die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Finnland als Ganzes.
Dieser Aspekt spielte in verschiedenen Wortbeiträgen eine durchaus bedeutende Rolle auf dem 8. Deutsch-Finnischen Hafentag (DFHT) in Lübeck. Er wurde am Dienstag im Musik- und Kongresszentrum (MuK) der Hafen- und Hansestadt ausgerichtet und zog über den Gesamttag betrachtet rund 400 Teilnehmer aus der Verkehrs- und Logistikwirtschaft, aber auch der Industrie, dem Handel, der Verwaltung und Politik an.
Während der Vormittag ganz im Zeichen eines hochkarätig besetzten Fachforums zum Thema „Energie und Nachhaltigkeit“ stand, ging es im zweiten Teil des DFHT im Besonderen um gesamtwirtschaftliche, sicherheitspolitische, logistische und auch umweltpolitische Aspekte. Die Wertschätzung für diese aus Lübecker Sicht inzwischen als Traditionsveranstaltung etablierte Fachtagung, auch und gerade aus finnischer Sicht, zeigte sich unter anderem auch darin, dass im Nachmittagsprogramm erstmals auch der erst seit wenigen Wochen im Amt befindliche neue finnische Botschafter in Deutschland zu den Gästen sprach.
Die verschiedenen Gesprächsfäden im zweiten Teil des DFHT hatte Bernd Jorkisch als Honorarkonsul Finnlands mit Sitz in Lübeck fest im Griff. Er bezeichnete in seinem Einführungsstatement den Ostseeraum als Ganzes als eine „echte Zukunftsregion für Europa“. Und auch davon zeigte sich Jorkisch überzeugt: Der durch den russischen Überfall auf die souveräne Ukraine forcierte und inzwischen auch vollzogene Beitritt Finnlands zum westlichen Verteidigungsbündnis Nato – damit auch die Aufgabe einer über Jahrzehnte hinweg praktizierten Bündnisneutralität – werde auch für die europäische Sicherheitsarchitektur von herausragender Bedeutung sein. Denn: „Finnland ist verteidigungswillig und auch verteidigungsfähig“, stellte Jorkisch heraus.
(Bernd Jorkisch, Honorarkonsul der Republik Finnland in Lübeck)
Was die deutsch-finnischen Wirtschaftsbeziehungen betrifft, die ja auch und gerade für den Ostseehafen Lübeck von besonderer Bedeutung sind, stünden diese seit Jahr und Tag unter einem günstigen Stern. So ist Deutschland für die Finnen bereits seit 2014 der größte Handelspartner mit einem jährlichen Handelsvolumen im Wert von rund 23 Milliarden Euro. Zur weiteren Einordnung: Finnland belegt im Ranking des deutschen Außenhandels bei den Exporten (Umsatz) im Jahr 2022 nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes Rang 26, während in dem Jahr das Exportziel Nummer eins die USA waren.
Für den finnischen Außenhandel spielt der Transport für den Seeweg, und damit vor allem die Ostsee, eine herausragend Rolle. Und davon profitiere auch der Hafen Lübeck, der eine zentrale Rolle als Gateway für den finnischen Außenhandel darstellt. Damit die Hansestadt diese in Jahrzehnten immer weiter verfeinerte Rolle auch künftig spiele könne, müssen aus Lübecker Sicht auch die Hinterlandanbindungen auf einem hohen Leistungsniveau erhalten bleiben. In dem Zusammenhang stellte Jorkisch auch die Rolle des vor rund 120 Jahren angelegten Elbe-Lübeck-Kanals (ELK) als einziger Binnenwasserstraßenverbindung von der Ostsee ins Hinterland heraus. Dieser müsse auch in Zukunft für die Verkehrswirtschaft nutzbar sein.
Auch der neue finnische Botschafter in Berlin, Kai Sauer – sein Vater ist Deutscher, seine Mutter ist Finnin –, stellte in seinem Referat die besonderen Beziehungen zwischen den beiden EU-Nachbarn heraus. Sauer: „Deutschlands Bedeutung für die finnische Wirtschaft kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.“ Das schließe auch mit ein, dass der Hafen- und Wirtschaftsstandort Lübeck für Finnland so etwas wie eine erste Adresse darstelle.
(Kai Sauer, Botschafter der Republik Finnland in Berlin)
Das von ihm repräsentierte Land räume der maritimen Industrie traditionell einen sehr hohen Stellenwert ein. Denn rund 90 Prozent des Außenhandels werde über den Seeweg abgewickelt. Aus finnischer Perspektive ist das skandinavische Land praktisch wie eine Insel zu betrachten, die über den Seeweg die Verbindung zur weiteren Staatengemeinschaft halte. Finnland habe daher ein sehr großes Interesse daran, dass diese Seeverkehrswirtschaft auch weiterhin verlässlich, dabei so umweltfreundlich wie möglich und auch zu bezahlbaren Preisen verfügbar sei. Das höre sich zunächst selbstverständlich an, aber zwei Details zeigen, dass doch einiges zu berücksichtigen ist. So sind die meisten finnischen Häfen jedes Jahr aufgrund der Eislage in der Ostsee für fast fünf Monate unter erschwerteren Bedingungen erreichbar. In diesem Zeitraum können nur Schiffe mit Eisverstärkung zum Einsatz kommen, die damit im Anschaffungspreis höher sind. Die „Eisfahrt“ – auch in den durch Eisbrecher offengehaltenen Zufahrtswegen – sei für die Schiffe energieintensiver und damit unterm Strich auch teurer. Wenn also Energie politisch gewollt mittel- und langfristig teurer werden soll – dann führe das auch zu weiteren finanziellen Belastungen für den außenhandelsorientierten Industriestandort Finnland. Dabei verfolge man in Helsinki sehr wohl einen klaren, ambitionierten Umwelt- und Klimaschutzkurs. Sauer: „Finnland will bereits bis 2035 den Status der Klimaneutralität erreicht haben.“ Auch aus diesem Grund forciert das Land inzwischen die Entwicklung, den Auf- und auch Ausbau einer leistungsstarken Erneuerbare-Energien- Industrie. Auch Finnland setzt dabei große Hoffnungen auf die sogenannte Wasserstoff-Wirtschaft.
Auch die sicherheitspolitischen Entwicklungen der zurückliegenden Monate seit dem „rechtswidrigen Angriff“ Russlands auf die Ukraine haben in Finnland als direktem Nachbarn zu Russland tiefe Spuren hinterlassen, stellte Sauer fest. Die Konsequenz war für das Land daher die Hinwendung zur Nato als dem westlichen Verteidigungsbündnis. Deutschland habe dabei zu den Nato-Partnern gehört, die das finnische Beitrittsersuchen zur Allianz aktiv unterstützt hätten. Inzwischen sei Finnland Teil der Nato und hoffe, dass auch der Nachbar Schweden bald nachfolgen könne. Der Botschafter wies darauf hin, dass damit die Ostsee auch so etwas wie zu einem „Binnenmeer der Nato“ werde. Und auch das lag ihm am Herzen: „Als Finnland werden wir einen starken Beitrag zur kollektiven Sicherheit in Europa leisten.“
(Yrjö Vainiala, Port Director, Chief Operating Officer (COO) and Commercial Direktor, Port of Naantali, hält die diesjährige Hafenrede)
Vor welchen Herausforderungen die finnische Seehafenverkehrswirtschaft mit Blick auf den globalen Klimaschutz, den forcierten Ausstieg aus den fossilen Energieträgern und auch den geopolitisch geprägten Veränderungen von internationalen Handelsströmen steht, führte Yrjö Vainiala, Port Director des südwestfinnischen Universalhafens Naantali, heraus. Der Seehafen belegt in Finnland Platz neun unter den Hafenstandorten mit einem Jahresumschlag von rund 4,5 Millionen Tonnen. In der mittel- und langfristig angelegten Hafenstrategie hat auch Naantali die erneuerbaren Energien zu einem Topthema erhoben. Der Bau einer Fabrik zur Herstellung vom „Grünem Ammoniak“ wird mit Schwung vorangetrieben. Das Vorhaben trägt den verheißungsvollen Namen „Green North Energy“ und soll ab 2027 operativ sein. Wie bedeutsam der Umweltschutz für ein finnisches Industrieunternehmen mit Weltmarkt-Ausrichtung ist, zeigte Seppo Parvi, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Weltkonzerns Stora Enso, auf.
(Seppo Parvi, Chief Financial Officer (CFO), Stora Enso)
Bis 2050 wolle das auf die Forstprodukten-Wirtschaft ausgerichtete Unternehmen klimaneutral sein. Der Konzern machte in den zurückliegenden beiden Jahrzehnten durch verschiedene innovative Logistikprojekte von sich reden, so etwa die Entwicklung und Einführung eines Großcontainer-Transportkonzepts mit Behältnissen, die nicht ISO-genormt sind. Für den finnischen Konzern ist der Hafen Lübeck im Allgemeinen und die Lübecker Hafengesellschaft (LHG) seit Jahr und Tag ein herausragender Partner. Was LHG-Chef Dr. Sebastian Jürgens in der Vorstellung des finnischen Gastes und Referenten mit den Worten wertschätzte: „Die Geschäftsführung von Stora Enso ist zudem von einer großen Verlässlichkeit und Fairness geprägt.“
(Prof. Sebastian Jürgens, Geschäftsführer der Lübecker Hafen-Gesellschaft)
Dr. Christian Ketels (2. v.r.), Harvard Business School, Globaler Experte für wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und Strategie
- Seppo Parvi, Chief Financial Officer (CFO), Stora Enso (2. v.l.)
- Matthias Marquardt, Geschäftsführer Wärtsila Deutschland GmbH, Director Marine Power Business Development & Compliance (3. v.r.)
- Jan Lindenau, Bürgermeister Hansestadt Lübeck (rechts)
- Prof. Dr. Sebastian Jürgens, Geschäftsführer Lübecker Hafen-Gesellschaft mbH (links)
(Dr. Christian Ketels(li.) und Jan Lindenau, Bürgermeister Hansestadt Lübeck)
In einer von Dr. Christian Ketels moderierten Diskussionsrunde wurde über die verschiedenen Redebeiträge ergänzend diskutiert. Dabei spielte unter anderem auch der Aspekt „Alternative Schiffsantriebe und Treibststoffe“ eine besondere Rolle. Matthias Marquardt, Geschäftsführer der Wärtsilä Deutschland GmbH, stellte dabei heraus, dass die internationale Reederschaft derzeit intensiv nach Alternativen zu den momentan weiter dominierenden fossilen Treibstoffen suche. Das zu erreichen bedeute auch, dass sich die Antriebshersteller, Brennstoff entwickler, Reeder, die Häfen und auch die Politik eng austauschen müssten. Vor allem auch die Politik sei gefordert, denn von ihr würden vor allem „klare, verlässliche Rahmenbedingungen erwartet“, betonte auch Lübecks Bürgermeister Jan Lindenau.
(Dr. Christian Ketels hält im Anschluss den Vortrag „Chancenraum Ostsee“)
(Bürgermeister Jan Lindenau hält die Schlussrede)
(Deutsch-Finnische Kompetenz: (v.l.) Matthias Marquardt, Dr. Christian Ketels, Seppo Parvi, Jan Lindenau, Yrjö Vainiala, Kai Sauer, Prof. Sebastian Jürgens und Bernd Jorkisch)
Text: Eckhard Arndt, THB