Das gesunkene Hanseschiff überrascht die Archäologen der Hansestadt Lübeck aktuell immer wieder aufs Neue – im positiven Sinne. In den ersten Wochen der Bergung kamen immer neue Funde zum Vorschein, die nach und nach die Geschichten des 400 Jahre alten Schiffes freilegen.
(Kultursenatorin Monika Frank und Dr. Dirk Rieger, Leiter des Bereichs Archäologie und Denkmalpflege Hansestadt Lübeck erläutern der Presse den aktuellen Stand der Bergung)
(v.l.: eine Mitarbeiterin der polnischen Firma Archcom, Pressesprecherin der HL Nicole Dorel, Archäologe Felix Rösch, Ingrid Sudhoff Abteilungsleiterin Archäologie, Dirk Rieger und Monika Frank)
Der erste Bergungsmonat
Die Bergung startete unter guten Bedingungen: Sonne, wenig Wind und Sichtweiten zwischen ein und zwei Metern unter Wasser. Lediglich die letzten Tage brachte der Sturm einige Ausfälle mit sich. Die größten Probleme bereiteten dagegen einige unachtsame Sportbootfahrende, die die Kennzeichnung des Bergungsschiffes ignorierten, nicht genug Abstand hielten und sogar unmittelbar über die Tauchstelle fuhren.
Nichtsdestotrotz konnten inzwischen 20 Fässer, die obenauf lagen, geborgen werden. Sie wiegen bis zu 300 Kilogramm und sind alle etwa gleich groß. Bisher enthalten alle geborgenen Fässer Branntkalk. Teile der Fässer, die unter Sediment begraben lagen, weisen noch Holz auf: Dauben, Deckel und sogar Ringe aus Weichholz im oberen, mittleren und unteren Teil.
(Das erste Fass mit Branntkalk, das vor einem Monat geborgen wurde)
Vom eigentlichen Plan, zuerst alle 75 sichtbaren Fässer zu bergen, wich das Expertenteam aufgrund eines erfreulichen Fundes an der nördlich liegenden, abgebrochenen Bordwand ab. Während der Freilegungsarbeiten mittels Unterwassersauger trat immer mehr Holz zum Vorschein: ein im Verbund befindliches Stück Bordwand sowie mehr als 100 verlagerte Hölzer unterschiedlichster Funktion. Darunter zahlreiche Planken, Wegerungs- (innere Planken) und Decksplanken, Spantteile, Kniehölzer und zahlreiche weitere Hölzer.
Der Großteil lag außerhalb des ehemaligen Schiffsrumpf, daher wurde das Umfeld freigelegt. Bis heute wurde das Schiff etwa zur Hälfte umrundet und dabei Sediment bis in 80 Zentimeter Tiefe weggesaugt. Die große Anzahl der Hölzer und die guten Erhaltungsbedingungen der unter dem Sediment befindlichen Teile waren eine äußerst positive Überraschung. Alle bereits freiliegenden Hölzer sind schon stark durch die Schiffsbohrmuschel zerfressen.
Überraschend viele Fundstücke
Noch so einige weitere spannende Funde kamen mit jedem Tauchgang zum Vorschein und verraten jeweils ein Stück der Geschichte zu dem gesunkenen Hanseschiff.
„Bereits nach einem Monat haben wir überraschend viele Funde bergen können, die uns unerwartete Rückschlüsse zum Schiff und zum Leben an Bord erlauben. Genau diese spannenden Momente und archäologischen Belege haben wir uns gewünscht. Damit eröffnet der Lübecker Fund eine einmalige Chance zur Erforschung der Schifffahrt vor 400 Jahren“, freut sich Kultursenatorin Monika Frank.
„Die Qualität und die schiere Masse an hervorragend erhaltenem Holz übersteigt all das, was wir uns vor Monaten erhofft hatten. Schon jetzt können wir sagen, dass wir anhand der Funde große Teile des Schiffs, wie zum Beispiel das gesamte Heck mit einer Höhe von über fünf Metern, bergen, dokumentieren und zeigen können“, verrät Dr. Dirk Rieger, Bereichsleiter Archäologie und Denkmalpflege.
„Einzelne Schiffsteile wie der komplett erhaltene drei Meter große Heckanker oder das über fünf Meter lange vollständig erhaltene Ruder unterstreichen die Einzigartigkeit des Fundes in der westlichen Ostsee. Das hat es in dieser Form so noch nicht gegeben“, fügt Dr. Ingrid Sudhoff, Abteilungsleiterin Archäologie, hinzu.
Neben gut erhaltenen Schiffsteilen zeigten sich aber auch noch ganz andere Funde – Dinge des alltäglichen Lebens, die damals mit an Bord gebracht wurden.
„Die Bergung erbrachte bislang schon eine Reihe an spannenden Kleinfunden, darunter Bestandteile der Takelage und eine vollständig erhaltene Seilrolle, ein sogenannter Block. Sehr interessant ist auch eine Schnapsflasche, die vermutlich aus London stammt und ihren Weg auf dem gesunkenen Schiff nach Lübeck gefunden hat. Viele dieser kleinen Funde erzählen uns facettenreiche Geschichten über das Leben an Bord und die Wege, die die Crews auf sich nahmen“, erzählt Dr. Felix Rösch
Zu den Fundstücken gehören auch eine Weinflasche, hochwertiges Keramikgeschirr (Fayence) sowie einfaches Koch- und Essgeschirr (Grapen, Jüteware und Malhornware), ein Lederbeutel und Tierknochen.
(Oben links: Keramikscherbe (Malhornware), oben rechts: Fayence (vermutlich aus Holland), unten links: eine Grape (Kochgeschirr) unten rechts: Jüteware (Geschirr aus Jütland)
(Vor zwei Wochen entdeckten die Taucher von Archcom im Heckbereich des Schiffs dieses Fragment einer Glasflasche. Sie trägt ein Siegel mit einer Krone und der Aufschrift „LONDN“. Wahrscheinlich enthielt sie einmal eine Spirituose eines Londoner Produzenten. Da sich solche Siegel gut datieren lassen, werden weitere Recherchen bald weitere Information liefern können.)
(links: eine Spirituosenflasche (vermutlich aus England), rechts: der Boden einer Weinflasche)
(Dr. Felix Rösch zeigt eines seiner Lieblingsstücke)
(Im Sediment zwischen den Wrackteilen hat sich dieser Block, ein Gehäuse, in dem sich drehbare Scheiben befinden, erhalten. Der Zustand ist außergewöhnlich gut: es ist sogar noch Tauwerk erhalten und die Scheibe lässt sich noch drehen. Blöcke dienen dazu, die Zugrichtung von Tauen zu ändern, sie umzulenken oder fungieren als Bestandteil von Flaschenzügen.)
Funde liefern erste Erkenntnisse
Neben der abgebrochenen Bordwand konnte das Heck identifiziert werden, womit eindeutig festgestellt werden kann, dass das Schiff mit dem Bug in Richtung Lübeck gesunken ist. Folgerichtig gehörte die Bordwand zur Steuerbordseite des Hecks. An der Backbordseite konnte das Gegenstück des Hecks freigelegt werden. Dadurch sind größere Teile des Hecks erhalten.
Mit dem Heck lässt sich die Länge des Kiels auf 17 bis 18 Meter eingrenzen, was auf eine ursprüngliche Schiffslänge von circa 20 bis 23 Metern schließen lässt. Ein 5,10 Meter langer Decksbalken, der von Bordwand zu Bordwand laufend, zur Queraussteifung des Schiffs und als Unterkonstruktion für die Decksplanken diente, gibt Aufschluss über die ursprüngliche Breite des Schiffs: Sie lag zwischen 5,5 und 6 Metern.
Beim Bau des Schiffes wurden mindestens drei Holzarten verwendet: Eiche, Buche und Kiefer. Einige angekohlte Holzteile liefern derweil Hinweise auf einen eventuellen Brand an Bord.
Dokumentation und Lagerung
Zeitgleich mit der Bergung wurde in einer Lagerhalle in Schlutup mit der wissenschaftlichen Dokumentation der Fässer und Hölzer begonnen. Dort werden die geborgenen Hölzer nach der Bergung gereinigt und anschließend ein 3-D-Scan aufgenommen. Nachdem die Scans am PC bereinigt und nachbearbeitet werden, erstellen die Expert:innen der Bergungsfirma Archcom auf Grundlage dieser 3-D-Scans Dokumentationsblätter.
(Ein 3-D-Scan wird vorbereitet)
Hier werden alle Details zu den Hölzern festgehalten: Maße, Nägel und Nagellöcher, Aussparungen, Kerben, Beschädigungen wie Risse oder Erosions- und Fraßspuren, Werkzeugspuren, Reparaturen, Holzart und weitere Auffälligkeiten. Nach einer Probenentnahme für die Holzaltersbestimmung (Dendrochronologie) werden die Wrackteile in großen Becken mit Leitungswasser gelagert, das die Austrocknung der Hölzer verhindert und sie gleichzeitig entsalzt.
Die Bergung geht weiter
Währenddessen geht die Bergung des Hanseschiffes weiter: Die Umgebung des Schiffes und der restlichen Fässer wird weiter freigesaugt, weitere Hölzer und der Anker werden geborgen sowie die restlichen Fässer auf dem Schiff. Anhand von Probenentnahmen für die Dendrochronologie sollen die Bau- und Nutzungszeit des Schiffes sowie Informationen zur Herkunft der Hölzer genau bestimmt werden.
Text: HL
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