Der Schiffbau hat im 20. Jahrhundert Lübeck geprägt. Alle Werften der Stadt sind nun Thema einer Ausstellung im dortigen Industriemuseum. Der Kurator wünscht sich aber noch mehr.
Nebel waberte über Lübeck. Die Sonne ging gerade auf. Und in diesem Licht lag die Flender-Werft. Dieser Anblick faszinierte den Fotografen und Künstler Rainer Wiedemann. „Es hat mich etwas an ein Gemälde von Monet erinnert“, sagt er. Der französische Maler Claude Monet hatte 1872 den Hafen von Le Havre gemalt und damit das weltberühmte Werk „Impression, Sonnenaufgang“ geschaffen.
„Als die Flender-Werft 2002 Insolvenz anmeldete, erwachte dann in mir der Jäger“, sagt Wiedemann. „Als Fotograf wollte ich als Erster auf das Gelände.“ Er bekam die Erlaubnis, in die Hallen zu gehen. „Es war, als ob die Arbeiter nur gerade in der Mittagspause waren. Alles war noch da: die Spinde, die Werkzeuge und die Maschinen.“ Das Flender-Aus war das Ende eines Teils der Lübecker Wirtschaftsgeschichte. Für Wiedemann aber auch ein Anfang.
Lübeck und seine Industrie
Als Kurator hat er sich schon zwei Mal für das Industriemuseum Herrenwyk in Lübeck dem Thema Schiffbau gewidmet. Beim nun dritten Mal stehen alle ehemaligen Lübecker Werften im Fokus. „Es ist den Lübeckern nicht so bewusst, dass ihre Stadt seit 120, 130 Jahren ein Industriestandort ist“, sagt Christian Rathmer, Leiter des Industriemuseums. „Und der Schiffbau hat Lübeck im 20. Jahrhundert geprägt.“
Zwischen 1882 und 2002 wurden in Lübeck nach Museumsangaben Hunderte von Eisen- und Stahlschiffen gebaut. Rund zehn Prozent der Industriearbeitsplätze entfielen laut Rathmer auf diese Branche. Die Schau „Schiffbau in Lübeck im 20. Jahrhundert“ wirft deshalb auch ein besonderes Schlaglicht auf die Arbeiter selbst. Der Arbeitsalltag der Schlosser, Nieter und Schweißer wird gezeigt.
„Nicht irgendwelche Handlanger“
„Die Arbeiter hatten ein großes Selbstbewusstsein“, sagt Rathmer. „Sie waren Industriefacharbeiter, fest angestellt und bekamen teils Dienstwohnungen gestellt. Sie wussten, dass sie nicht irgendwelche Handlanger waren.“ Und ihnen sei auch Anerkennung entgegengebracht worden.
Mehr als 150 Fotografien – viele bislang unveröffentlicht – sollen die Welt dieser Arbeiter und den Schiff- und Dockbau veranschaulichen. Sie zeigen Stapelläufe, Kräne und Hellinge und geben Einblicke in die Entwicklung der Werftgelände und der Werkhallen. Zu sehen sind in der Ausstellung zudem Schiffs- und Spanten-Modelle sowie alte Baupläne.
Werkzeuge zum Anfassen
Ein Arbeitsplatz mit einer Werkbank wurde auch extra eingerichtet. Hier finden die Besucher typische Werkzeuge wie Ausbeulhammer, Nietenwärmer, Pressniethämmer, Pressluftbohrer, Stanzen und Blechscheren. Sie vermitteln eine Vorstellung der harten Arbeit zum Beispiel auf der Schlichting-Werft oder den in Travemünde ansässigen Hatra-Werken.
Sowohl der Kurator als auch der Museumsleiter wünschen sich, dass mehr Schüler diesen Teil der Lübecker Wirtschaftsgeschichte kennenlernen. Denn: Manche Kinder und Jugendliche wüssten nicht einmal, was eine Werft sei. Um ihnen diesen Teil der eigenen Geschichte näherbringen zu können, brauche es Orte. Wiedemann bringt deshalb die Idee eines Lübecker Schifffahrtsmuseums ein.
Schifffahrtsmuseum für Lübeck notwendig?
„Die Schiffbautradition wird nirgendwo in der Stadt richtig sichtbar“, sagt der Kurator. „Und das ärgert mich. Gerade bei einer Hafenstadt wie Lübeck mit der Geschichte der Hanse.“ In Hamburg sei das anders gehandhabt worden. Er verweist auf das dortige Schifffahrtsmuseum, das sich in der Speicherstadt befindet. Solch ein Museum in Lübeck zöge seiner Ansicht nach Gäste an und hülfe so der Tourismusbranche. Ein verschwundener Wirtschaftszweig würde einen noch vorhandenen stützen.
So startet die Schau
Die Ausstellung wird am Sonntag, 18. Februar, um 11 Uhr im Industriemuseum Herrenwyk (Kokerstraße 1-3, 23569 Lübeck) eröffnet. Am Eröffnungstag führt Kurator Rainer Wiedemann durch die Schau. Es folgt ein Podiumsgespräch über die Bedeutung, die Höhepunkte und das Ende des Schiffbaus in Lübeck im 20. Jahrhundert. Die Teilnahme beträgt 7 Euro für Erwachsene, 5 Euro für Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren sowie 2 Euro für Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 15 Jahren. Die Schau läuft bis zum 30. August.
Begleitend zur Ausstellung gibt es jeden ersten Sonntag im Monat jeweils um 11 Uhr eine Führung. Zudem gibt es am 15. März und am 5. April jeweils um 19 Uhr einen Vortrag von Marcus Schlichting zum Thema „Von der Bootswerft zum Stahlschiffbau“, am 12. Mai um 11 Uhr einen Vortrag von Ulf Böge zu „HATRA Baumaschinen und Schiffen aus Travemünde“ sowie am 7. Juni einen Vortrag von Rainer Wiedemann rund um das Thema „Schiffbau bei Flender“. Die Teilnahme an allen Vorträgen beträgt 7 Euro, ermäßigt 5 Euro.
Quelle:LN/Michael Dick